Was ist OPLL?
Sicher kennen Sie viele Abkürzungen und wissen, was sie bedeuten: Ob EU, BRD, CDU, MRT, CT oder KI. Aber die vier Buchstaben OPLL lassen sich nicht so einfach entschlüsseln – es sei denn, Sie sind oder waren betroffen. Die Abkürzung OPLL steht für Ossifikation des hinteren Längsbandes und bezeichnet eine Krankheit, die eine abnormale Verkalkung beziehungsweise Verknöcherung (Ossifikation) des hinteren Längsbandes (Ligamentum longitudinale posterius) zur Folge hat. Zumeist tritt die OPLL in der Halswirbelsäule (HWS) auf. Sie kann zu einer Spinalkanalstenose (Verengung des Wirbelkanals) führen und das Rückenmark (Myelon) komprimieren. Bei ausgeprägter Ossifikation besteht ein erhöhtes Risiko für eine zervikale Myelopathie (Gewebeabsterben des Rückenmarks).
Das hintere Längsband verläuft an der Hinterseite der Wirbelkörper innerhalb der Wirbelsäule und ist mit den Bandscheiben verbunden. An dieser Stelle trägt es zur Stabilität der Wirbelsäule bei. Dagegen läuft das vordere Band über die vordere Seite der Wirbel, von C1 bis zum Steißbein.
Häufigkeit von OPLL
Die OPLL macht vor keinem Kontinent halt. Ob in Asien oder Afrika, Amerika, Australien oder Europa – sie tritt weltweit auf. Interessanterweise kommt die OPLL am seltensten in der kaukasischen Bevölkerung vor, dagegen aber häufiger in der asiatischen, vor allem der japanischen Bevölkerung. Männer sind doppelt so häufig betroffen wie Frauen. Vorwiegend tritt die Ossifikation zwischen dem 50. und 60 Lebensjahr auf. Es wird vermutet, dass gut 20 Prozent der Patienten mit Myelopathie (griechisch myelon ‚Mark’, pathos ‚‘Leiden’, also eine Erkrankung des Rückenmarks) eine OPLL aufweisen.
Ursachen für eine Ossifikation des hinteren Längsbandes
Was sind die Ursachen für OPLL an der HWS? – gute Frage. Die Wissenschaft hat Hinweise und Vermutungen, aber tatsächlich keine handfesten Beweise. Mit anderen Worten: mehrere mögliche Ursachen stehen zur Disposition. Eine davon heißt genetische Prädisposition. Darunter versteht man die erblich bedingte Anlage beziehungsweise Empfänglichkeit eines Organismus für bestimmte Erkrankungen. Auch Diabetes mellitus Typ 2 kommt als Ursache infrage. Tatsächlich können Diabetiker häufiger an OPLL erkranken als Menschen ohne Diabetes mellitus Typ 2. Betroffen können auch Patienten sein, die sich salzreich und proteinarm ernähren. Derzeit laufen diesbezüglich weltweit Studien. Immer wieder gibt es Hinweise zu den seronegativen Spondylarthritiden, darunter verstehen wir verschiedene Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises, bei denen eine Entzündung der kleinen Wirbelgelenke (Spondylarthritis) vorliegt. Letztendlich ist in der Ursachenforschung auch das Wort idiopathisch nicht auszuschließen. Das heißt, die Krankheit kann ohne bekannte Ursache oder als selbstständiger Krankheitszustand auftreten.
Symptome
Typische Symptome, die auf eine Ossifikation hinweisen würden, gibt es nicht. Dies erschwert nicht nur die Diagnose seitens der Ärzte, sondern auch die damit verbundene Therapie. Da die eindeutigen Symptome ausbleiben, müssen sich die Ärzte an Mosaiksteinchen halten, die ihnen Hinweise auf eine OPLL-Erkrankung geben können.
Beginnen wir mit dem ersten Hinweis: Nackenschmerzen. Sie können immer wieder Symptom für unterschiedliche Erkrankungen sein. Die Ursachen dafür müssen nicht unbedingt im Nacken liegen, sondern können auch im weiteren Umfeld sein.
Als Symptom kann auch die Radikulopathie infrage kommen. Das ist eine akute Reizung oder Schädigung einer Nervenwurzel, die zu Empfindungsstörungen, Schmerzen oder sogar Lähmungen führen kann.
Bei einer fortgeschrittenen OPLL können Symptome der Myelopathie entstehen. Eine Myelopathie ist eine Schädigung des Nervengewebes im Rückenmark im Bereich der Hals- (HWS) oder Brustwirbelsäule (BWS). Sie entsteht durch den direkten mechanischen Druck auf das Rückenmark, durch die verminderte Durchblutung des Rückenmarksgewebes (Druck auf die Kapillare) und durch die Liquor-Zirkulationsstörungen.
Entsteht eine Myelopathie, dann klagen die Patienten eher über Missempfindungen der Arme und / oder Beine, Kraftminderung, Gangunsicherheit, Feinmotorik-Störungen, Dysfunktion der Blasenfunktion und anderen. Eine unbehandelte Myelopathie könnte zu erheblicher Beeinträchtigung der Lebensqualität führen.
Diagnose
Die Diagnose erfolgt, wie so häufig, in mehreren Schritten.
Wir beginnen mit der sorgfältigen Anamnese – dem Arzt-Patienten-Gespräch, in dem der Patient seine Beschwerden sowie den Verlauf erläutert: Schmerzen, Zeitraum und andere relevante Informationen. Danach beginnt die körperliche Untersuchung. Die Wirbelsäule wird abgetastet, das Gangverhalten wird beobachtet, Bewegungen gecheckt. Oftmals finden wir jetzt schon klare Hinweise. Aber, um eine exakte Diagnose stellen zu können und eine Diagnosesicherung zu gewährleisten, die wiederum die Basis für die Therapie ist, entscheiden wir uns zusätzlich für bildgebende Verfahren. MRT, CT und Röntgen. Eine Verknöcherung des hinteren Längsbandes ist dabei nicht zu übersehen. Sie drängen im Spinalkanal, drücken und verschieben das Rückenmark. Oft bleiben nur einige Millimeter für das Rückenmark übrig.
Therapie und Behandlung von OPLL
Die einfachste Form der Therapie – die sogenannte medikamentöse – kommt nicht infrage, da es kein Medikament gibt, dass das Problem lösen könnte.
Die konservative Therapie könnte nur die Symptome beeinflussen, aber genau wie die Medikamente haben sie keinen Einfluss auf die Krankheit selbst. Es bleiben zwei Varianten – die konservative Therapie und die operative Therapie. Bei fortschreitender Symptomatik bleibt die Chirurgie die beste Rettungsmaßnahme.
Operationsverlauf bei OPLL
Es setzt absolute, hohe Konzentration beim Chirurgen voraus sowie allerhöchste jahrelange Erfahrung in der Wirbelsäulenchirurgie, um diese Operation durchzuführen. Die Operation erfolgt am vorderen Halsbereich – also ventral. Es kommt zu einer sogenannten ventralen Dekompression. Als Dekompression bezeichnet man die operative Druckentlastung, dabei werden die Knochenanbauten beziehungsweise die verkalkten Strukturen entfernt. Da die Verkalkungen hinter dem Wirbel liegen, muss ein Weg (Zugang) geschaffen werden, um an diese heranzukommen. Deshalb werden die betroffenen Wirbelkörper mit den Bandscheiben darüber und darunter entfernt. Der Fachbegriff für dieses chirurgische Handeln lautet Vertebrektomie. Die Verkalkungen (Verdickungen), also die Knochenanbauten, werden sehr vorsichtig abgetragen, ohne zusätzlichen Druck auf das Rückenmark, das sowieso gelitten hat, auszuüben. Hierbei handelt es sich um eine Mikro-Millimeter-Arbeit. Nachdem das Rückenmark befreit wurde, implantieren wir zwischen den gesunden Wirbeln einen Wirbelersatz (Cage) und für zusätzliche Stabilität eine Platte aus Titan. Auch Knochenspäne werden eingesetzt, die eine schnellere Verknöcherung gewährleisten sollen.
Sind in Folge der Ossifikation drei oder mehr Wirbel betroffen, ist eine zusätzliche dorsale Spondylodese notwendig. Damit wird eine Versteifung über einen Zugang von hinten erreicht. Diese Methode bewährt sich in Fällen komplexer Erkrankungen der Wirbelsäule.
Eine bloße Erweiterung des Spinalkanals von dorsal (hinten) halten wir nicht für wirksam, sie könnte zur Verschlechterung führen. Auch eine begrenzte Dekompression nur an den Bandscheibenebenen ohne Wirbelentfernung kann für den Patienten gefährlich werden.
Bei der OPLL ist die Hirnhaut (Dura) oft sehr dünn und stark an den Knochen-Anbauten verklebt, sodass es bei der Operation zur Öffnung der Hirnhaut mit späterem Liquor-Austritt kommen kann. Deshalb legen wir eine lumbale Drainage und decken die Dura mit Muskelschicht und Fibrinkleber ab.
Verlauf nach der Operation
Nach der Operation sind die Pateinten circa acht Wochen auf eine Halswirbelkrause angewiesen. Mit der Physiotherapie kann bereits nach einer Woche Post-OP begonnen werden, dabei müssen HWS-Bewegungen vermieden werden.
Ergebnisse: Erfolgt die Operation rechtzeitig, dann können sich die Patienten schnell erholen. Wird die OP zu spät durchgeführt, dann muss mit einem sehr langsamen und mühsamen Verlauf gerechnet werden.
Sollte eine Operation nicht erfolgen, ist mit schweren Ausfällen zu rechnen.
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Der Artikel wurde zuletzt am 16.12.2024 geprüft und aktualisiert.
Über den Autor
Dr. med. Munther Sabarini ist Direktor und Gründer der Avicenna Klinik. Der Facharzt der Neurochirurgie hat sich insbesondere auf die Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen spezialisiert. Dr. Munther Sabarini hat mehr als 30 Jahre Berufserfahrung. In dieser Zeit behandelte er über 30.000 Patient:innen.
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