Was ist Wirbelgleiten (Spondylolisthese)?
Die menschliche Wirbelsäule besteht aus 33 Wirbelkörpern. Verschiebt sich ein Wirbelkörper spricht man von einer Spondylolisthese, im Deutschen oft Wirbelgleiten oder Gleitwirbel genannt. Dabei kann ein Wirbel über dem nächst tieferen Wirbelkörper nach vorn (Anterolisthesis) oder nach hinten (Retrolisthesis) rutschen. Beim Gleiten eines Wirbels verschieben sich auch seine Bogenwurzeln, Querfortsätze und oberen Gelenkfortsätze. Spondylolisthese hat eine Instabilität der Wirbelsäule zur Folge.


So entstehen Gleitwirbel: Von der Spondylolyse zur Spondylolisthese
Spondylolisthese entwickelt sich in der Regel schleichend, weshalb mehr als die Hälfte der Betroffenen unspezifische Symptome aufweisen. Ein Vorläufer des Wirbelgleitens ist häufig eine Spondylolyse, bei der ein Riss oder Spalt im Wirbelbogen entsteht und dadurch eine Lockerung auftritt. Dieser Spalt bildet sich meistens an einer Verengung des Wirbelbogens, der sogenannten Interartikularportion. Dadurch kann der Wirbelkörper instabil werden und zu einer Verschiebung führen.
Die Spondylolyse und Spondylolisthese betreffen fast immer die Lendenwirbelsäule (LWS). Am häufigsten ist der 5. Lendenwirbel betroffen, bei etwa 80 Prozent der Fälle (Spondylolisthese / Spondylolyse L5), gefolgt vom 4. Lendenwirbel mit einer Betroffenheitsrate von etwa 15 Prozent (Spondylolisthese / Spondylolyse L4). Zusätzlich tritt bei einem Gleitwirbel in den meisten Fällen eine Spinalkanalstenose auf, selten auch Ganglionzysten.
Symptome bei einer Spondylolisthese
Symptome einer Spondylolisthese können vielfältig sein und sich im Verlauf der Erkrankung entwickeln. Zu den häufigsten Symptomen gehören:
- Rückenschmerzen: Schmerzen im unteren Rückenbereich, die sich durch Bewegung, Belastung oder längeres Sitzen verstärken können.
- Beinschmerzen: Schmerzen, die vom Rücken in das Gesäß, die Oberschenkel oder die Unterschenkel ausstrahlen können.
- Kribbeln und Taubheitsgefühle: Gefühlsstörungen wie Kribbeln oder Taubheit in den Beinen oder im Gesäßbereich.
- Verschlechterung der Schmerzen im Laufe des Tages: Die Rückenschmerzen nehmen im Verlauf des Tages häufig zu.
- Einschränkung der Beweglichkeit: Schwierigkeiten beim Bücken, Heben oder Drehen des Rückens.
- Funktionsausfall eines Nervs: In fortgeschrittenen Fällen können Nervenschäden auftreten, die zu Lähmungen der Beine sowie zu Blasen- und Darmfunktionsstörungen führen können.
- Zusätzliche Veränderungen der Bandscheibe und Wirbelgelenke: Eine Spondylolisthese kann zu einem verstärkten Verschleiß der Bandscheibe und der Wirbelgelenke führen, was zu weiteren Komplikationen wie Bandscheibenvorfällen oder Spondylarthrose führen kann.
Aufgrund von möglichen Folgeerscheinungen und zusätzlichen Veränderungen der Wirbelsäule ist es wichtig, eine Spondylolisthese frühzeitig zu erkennen und zu behandeln.
Entwicklung und Verlauf des Wirbelgleitens Die Entwicklung des Wirbelgleitens von Grad 1 bis Grad 4 verläuft schleichend und erstreckt sich über Monate oder sogar Jahre. Dieser Prozess ist langwierig und nicht innerhalb weniger Wochen abgeschlossen. Bei den meisten Patienten verläuft das Wirbelgleiten ohne Schmerzen oder Symptome, sofern der verschobene Wirbel keinen Druck auf einen Nerv oder direkt auf eine Bandscheibe ausübt. Es ist jedoch wichtig zu beachten, dass es in seltenen Fällen zu einer plötzlichen Verschlechterung der Spondylolisthese kommen kann.
Die Schweregrade einer Spondylolisthese
Bei einem Wirbelgleiten kommt es zu einer Abweichung der normalen Ausrichtung der Wirbel zueinander. Sie sind seitlich zueinander verschoben. Das Wirbelgleiten wird in der Regel durch Orthopäden oder Neurochirurgen anhand von vier Schweregraden klassifiziert. Diese Einteilung erfolgt nach der Meyerding-Klassifikation aus dem Jahr 1932 und wird in Prozent der Wirbelkörpertiefe angegeben.
Dies sind die Schweregrade einer Spondylolisthese:
- Grad 1: Verschiebung von weniger als 25 %. Der obere Wirbelkörper bedeckt mindestens drei Viertel der Deckplatte des unteren Wirbelkörpers.
- Grad 2: Verschiebung von 25 bis 50 %. Der obere Wirbelkörper bedeckt mindestens die Hälfte, aber weniger als drei Viertel der Deckplatte des unteren Wirbelkörpers.
- Grad 3: Verschiebung von 51 bis 75 %. Der obere Wirbelkörper bedeckt mindestens ein Viertel, aber weniger als die Hälfte der Deckplatte des unteren Wirbelkörpers.
- Grad 4: Verschiebung von mehr als 75 %. Der obere Wirbelkörper bedeckt weniger als ein Viertel der Deckplatte des unteren Wirbelkörpers.
- Wenn die beiden benachbarten Wirbelkörper überhaupt keinen Kontakt mehr zueinander haben, spricht man von einer Spondyloptose, die auch als Grad 5 auf der Schweregrad-Skala bezeichnet wird.
Die genaue Bestimmung des Schweregrads des Wirbelgleitens erfolgt mithilfe bildgebender Verfahren wie Röntgenaufnahmen, CT- oder MRT-Diagnostik.
Ursachen des Wirbelgleitens
Normalerweise bildet die Wirbelsäule eine gleichmäßige, leichte S-Kurve, der sich alle Bestandteile anpassen. Für die Stabilität sorgt ein starkes Muskel-Sehnen-System.
Es gibt verschiedene Ursachen der Spondylolisthese: Einerseits können angeborene Verformungen der Wirbelsäule dazu führen, dasss die Wirbel aus ihrer gewohnten Lage hinausgleiten. Andererseits führen auch allmähliche Veränderungen wie Verschleiß an Wirbeln und Gelenken (Spondyloarthrose), Knochenabbau oder vorausgegangene Frakturen zu Gleitwirbeln.
Desweiteren kann eine abgeschwächte Rückenmuskulatur, gerade im Alter, eine Spondylolisthese verursachen. Betroffen sind häufig Menschen zwischen dem 50. und 60. Lebensjahr. Mit den Jahren verlieren die Bandscheiben, die als Stoßdämpfer zwischen den einzelnen Wirbeln sitzen, an Flüssigkeit und damit an Volumen. Sie werden immer mehr zusammengedrückt und stehen entsprechend dichter zusammen, wodurch Bänder und Sehnen gelockert werden. Die Segmente der Wirbelsäule werden dadurch instabil. Der einzelne Wirbel wird nicht mehr gehalten und kann leichter aus der bestehenden Position herausrutschen. Gut ausgebildete Bänder, Muskeln und Sehnen verlangsamen die Verschiebung, da sie im Wirbelkanal für zusätzlichen Halt sorgen.
In wenigen Fällen kann eine Listhese auch durch die Überlastung und Überbeanspruchung der Wirbelsäule im Leistungssport ausgelöst werden. Sportarten wie Kunstturnen, Stabhochspringen oder Delfinschwimmer sind besonders gefährdet. Schwere Verletzungen, verursacht beispielsweise durch Verkehrsunfälle, können die Stabilität der Wirbelsäule ebenfalls stark beeinträchtigen und eine Spondylolisthesis zur Folge haben.
Typische Ursachen für Wirbelgleiten
Diagnose des Wirbelgleitens
Da es sich beim Wirbelgleiten um einen schleichenden Prozess handelt, kommen Patienten häufig mit einem anderen Verdacht zu uns. Erst mit Hilfe einer genauen Untersuchung kann die Diagnose Spondylolisthese festgestellt werden.
Zur genauen Diagnostik zählt deshalb ein ganzes Paket an Maßnahmen um den Gleitwirbel von anderen Erkrankungen abgrenzen zu können. Vorab ist ein ausführliches Patientengespräch, eine Anamese, notwendig. Hier fragt der Arzt nach äußeren Umständen (Sport, Familie, Beruf) und überprüft Sensibilität, Motorik und Reflexe, um Schädigungen der Nerven auszuschließen. Anschließend folgen neurologisch-orthopädischen Untersuchungen.
Unter anderen kann mit Hilfe eines Röntgenbild des Rückens Wirbelverschiebungen aufgezeigt werden. Dabei sind Röntgenaufnahmen in gebeugter und gestreckter Haltung (Flexion und Anti-Flexion) notwendig, um die Diagnose zu sichern. Auch die Magnetresonanztomographie (MRT) ist hilfreich, da man mit dieser Technik Nervenwurzeln, Bandscheiben, Sehnen und Bänder detailliert darstellen kann.
Therapien bei Wirbelgleiten - so wird Ihr Facharzt Ihnen helfen
Solange keine neurologischen Ausfälle wie etwa Lähmungen vorliegen, wird eine konservative Behandlung zur Linderung der Beschwerden favorisiert. Neben der Behandlung der Schmerzen ist dabei die Stabilisierung der Wirbelsäule bzw. Rückenmuskulatur durch Physiotherapie und Rückenschule das Ziel.
Operative Behandlung
Halten die Beschwerden und Schmerzen länger an oder liegen bereits neurologische Ausfälle vor, erzielen wir mit einer mikrochirurgischen Operation gute Ergebnisse. Diese Verbesserung tritt durch die Befreiung der eingeklemmten Nerven (Dekompression) und Beseitigung der Verengungen und Einengungen ein. Mit anschließender Kräftigung der Rückenmuskulatur wird eine „natürliche“ Stabilisierung erreicht.
In schweren Fällen kann eine Spondylodese (Verblockung bzw. Versteifung) neben der Dekompression notwendig sein. Mit der Spondylodese bei Wirbelgleiten befreien wir die eingeklemmten Nerven (Dekompression), beseitigen Verengungen (Stenosen), korrigieren die Lage des verrutschten Wirbels (Reposition) und versteifen das Segment. Die Verblockung der Wirbelsäule entsteht durch das Einsetzen von Elementen aus Titan. Bei der OP werden dazu Schrauben in die Wirbelkörper eingesetzt und mit Verbindungselementen fixiert. Einige Monate nach dem Eingriff verwachsen die Wirbelgelenke mit den eingesetzten Blöcken. So wird der betroffene Abschnitt erfolgreich versteift. Selten ist zusätzlich ein Bandscheibenersatz notwendig. Bei Patienten mit Allergie gegen Titan werden Implantate aus Carbon benutzt.
Begriffserklärungen
Ventrolisthese und Anterolisthese: Wenn ein Abschnitt der Wirbelsäule sich gegenüber dem darunter liegenden Segment nach vorne verschiebt, sprechen wir von einer Ventrolisthese oder Ventrolisthesis. Ein anderer Begriff für diesen Vorgang ist die Anterolisthese. Retrolisthese / Retrolisthesis: Eine Retrolisthese oder Retrolisthesis liegt vor, wenn der Wirbelkörper im Vergleich zum darunterliegenden Teilstück der Wirbelsäule nach hinten gleiten. Olisthese und Pseudolisthese: Der Begriff Olisthese ist eine verkürzte Bezeichnung der Spondylolisthese, also dem Wirbelgleiten. Von einer Pseudolisthese ist die Rede, wenn das Gleiten der Wirbel durch Abnutzung und Verschleiß ausgelöst wird. In einigen Fällen wird die Pseudolisthese auch als Pseudospondylolisthese bezeichnet.
Häufig gestellte Fragen rund um Wirbelgleiten
Rund um die Diagnose, Symptomatik und Therapie von Spondylolisthese / Wirbelgleiten tauchen viele Fragen auf, die wir unseren Patienten immer gerne beantworten. Die am häufigsten gestellten Fragen inklusive unserer Antworten, haben wir an dieser Stelle aufgeführt.
Was ist Wirbelgleiten?
Wirbelgleiten (Spondylolisthese) ist eine Erkrankung der Wirbelsäule, bei der ein Wirbel in Richtung eines benachbarten Wirbels verschoben wird, wodurch Druck auf die Nerven im Rückenmark und auf die umliegenden Strukturen ausgeübt wird. Es kann zu einer Vielzahl von Symptomen führen, einschließlich Schmerzen, Taubheitsgefühl, Kraftverlust und Kribbeln.
Was sind die Symptome von Wirbelgleiten?
Die häufigsten Symptome von Wirbelgleiten / Spondylolisthesis sind Schmerzen im unteren Rücken, Taubheitsgefühl in den Beinen, Schwäche und Kribbeln. In schwereren Fällen kann es zu unregelmäßigen oder schweren Schmerzen im unteren Rücken und in den Beinen führen.
Kann Wirbelgleiten bei Kindern auftreten?
Ja, Wirbelgleiten / Spondylolisthesis kann bei Kindern auftreten, obwohl es bei Erwachsenen sehr viel häufiger ist. Während bei Erwachsenen oft Verschleißerscheinungen der Auslöser ist, ist es bei Kinder oft ein Trauma oder eine angeborene Fehlbildung.
Welche Arten von Wirbelgleiten gibt es?
Es gibt vier Arten bzw. Schweregrade von Wirbelgleiten: Dazu gehören Grade I (geringe Verschiebung), Grade II (mittlere Verschiebung), Grade III (schwere Verschiebung) und Grade IV (schwerste Verschiebung).
Welche Behandlungen werden für Wirbelgleiten verwendet?
Es gibt verschiedene Behandlungsoptionen für Wirbelgleiten / Spondylolisthesis, einschließlich konservativer Therapien wie Physiotherapie und Medikamente, sowie operative Behandlungen. Die Art der Behandlung hängt von der Schwere des Falls und den Symptomen ab.
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Der Artikel wurde zuletzt am 22.05.2023 geprüft und aktualisiert.
Über den Autor
Dr. med. Munther Sabarini ist Direktor und Gründer der Avicenna Klinik. Der Facharzt der Neurochirurgie hat sich insbesondere auf die Behandlung von Wirbelsäulenerkrankungen spezialisiert. Dr. Munther Sabarini hat mehr als 30 Jahre Berufserfahrung. In dieser Zeit behandelte er über 30.000 Patienten.
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Quellenangaben und weiterführende Literatur
- C. H. Hoffmann, M. Scholz, F. Kandziora: Indikationen zur Korrekturspondylodese bei degenerativer Spondylolisthesis. Zeitschrift für Orthopädie und Unfallchirurgie, Ausgabe 154, 2016
- M. Schiltenwolf, M. Schwarze: Bandscheibenbedingte Berufskrankheiten der Lenden- und Halswirbelsäule. Der Internist. Ausgabe 09/2021. Springer Medizin, 2021.
- E. Shiban: Degenerative Wirbelsäulenerkrankungen - Chirurgische Behandlung der Spinalkanalstenose und Spondylolisthese. Orthopädie & Rheuma, Ausgabe 3/2020. Springer Medizin, 2020.
- F. Geiger, A. Wirries: Spondylolisthese im Wachstumsalter. Der Orthopäde. Ausgabe 06/2019. Springer Medizin, 2019.
- Dt. Ges. f. Orthopädie und orthopäd. Chirurgie + BV d. Ärzte f. Orthopädie (Hrsg.): Leitlinien der Orthopädie. Dt. Ärzte-Verlag, 2. Auflage, Köln 2002.
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